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Kulturelle Bildung

Barrierefreiheit und Inklusion - ein Öffnen in viele Richtungen

Heike Roegler

Die Tagung

Letzen Montag habe ich eine kleine Reise nach Bremerhaven gemacht. Dort fand der 14. Workshop der Fachgruppe Barrierefreie Museen und Inklusion des Bundesverbands Museumspädagogik e.V. im Deutschen Schifffahrtsmuseum statt.

Toll, dass es diese Form des Fachaustausches gibt. Neben dem Inhaltlichen ist es auch das Treffen der Kolleginnen, das ebenso Spaß macht wie das Kennenlernen neuer Häuser.

Und frühes Zugfahren mit leckerem Kaffee und sonniger Landschaft hat auch schon etwas. Ehrlich.

Das Thema Inklusion beschäftigt mich schon eine Weile und wird auch immer größer in meiner Arbeit. Wir im Altonaer Museum sind dabei, neue Angebote umzusetzen und gerne tausche ich mich in Fachkreisen dazu weiter aus. Oftmals stehen Tagungen und Angebote zur Inklusion im Rahmen der Kunst (oder fallen mir vermehrt in diesem Rahmen auf) und gerade deshalb fand ich dieses Workshoptreffen besonders interessant. Über Historische Themen, Schifffahrt und das Klima und die Vermittlung all dessen sollte durch die drei beteiligten Häuser Deutsches Schifffahrtsmuseum, das Klimahaus und das Deutsche Auswanderermuseum gesprochen werden.

Tatsächlich hat meine Gedankenwelt rund um das Thema Inklusion jetzt eine weitere unerwartete Nuance dazu bekommen. Denn bisher war mein Blick vor allem auf die museale Welt gerichtet, auf die Vermittlung und ein rein Pragmatisches „wie kann es gehen“. Mit dem Beitrag der Stadt Bremerhaven ergab sich nun ein Blick von weiter weg.

 Barrierefreiheit als touristischen Faktor der Stadt Bremerhaven

Das Input-Referat von Stadtrat Uwe Parpart und Amtsleiter (Amt für Menschen mit Behinderung) Lars Müller trug den Titel “Die inklusive Perspektive der Seestadt Bremerhaven auf ihre Bildungseinrichtungen”. Worum ging es? Einfach gesagt: um wirtschaftliche Argumente.

Dazu hat Herr Parpart die Situation der Stadt Bremerhaven aus den 1990ern angeführt. Aufgrund der Werftkrise gab es eine hohe Arbeitslosigkeit und es ging der Stadt nicht besonders gut. Der Fokus auf Tourismus sollte neue Perspektiven öffnen und als Aufbruch und Ausweg aus der Situation helfen. Museen als Teil des Tourismus zu fördern war also eine wirtschaftspolitische Entscheidung. Auch der Fischereihafen sollte museal verändert werden.

Herr Parpart sieht durch die Demografische Entwicklung eine wachsende Bedeutung  von Barrierefreiem Tourismus. 

Herr Müller hat diesen anhand der Servicekette Tourismus für die Arbeit in Bremerhaven erläutert. Es geht um Faktoren wie

  • An- und Abreise
  • Ankommen und orientieren
  • Wohnen und schlafen
  • Essen und trinken
  • Freizeit und Sport
  • Service Assistenz
  • Unterhaltung und Kultur
  • Ausflug und Shopping
  • Erinnern und Bestätigung finden und Erzählen 

Denn, „wenn das Gesamtprogramm stimmt, kommt man gerne wieder“.

Interessant ist hier die konsequente Wirtschaftspolitische Entscheidung, Barrierefreiheit als Wirtschaftsfaktor zu sehen und fördern.

Die Stadt strebt inzwischen bundesweite Zertifizierungen an, arbeitet an Gutachten und versucht das Angebot weiter zu entwickeln.

Die positive Zusammenfassung der Stadt lautet:

  • Qualitäts- und Komfortmerkmal - Barrierefreiheit kommt allen zugute.
  • Erhebliches Marktvolumen
  • Großes Marktwachstum
  • Vorliebe für Deutschlandtourismus - Reiseziel für ältere Gäste
  • Höhere Auslastung in der Nebensaison
  • Profil, Image und Wettbewerbsvorteile
  • Nutzen für die regionale Bevölkerung


Nun werden viele denken, das liegt ja auf der Hand. Stimmt. Wenn ich aber ehrlich bin, gehe ich selbst diese Überlegungen ein bisschen widerborstig an. Ich möchte kulturelle Bildung anregen, Gespräche und Austausch fördern, unterschiedliche Perspektiven und Zugänge geben, dass die Menschen vor Ort gerne immer wieder kommen, einen Platz haben, an dem sie sich wohl fühlen usw.

Und dann denke ich, dass ich es mir da vielleicht ein bisschen zu leicht mache. Nicht, dass ich jetzt Barrierefreiheit rein wirtschaftspolitisch denken möchte. Ein Öffnen und aufeinander Zugehen, auch um voneinander zu lernen, kann jedoch sinnvoll sein.

Und die anderen Themen?

Aufbruch im Deutschen Schifffahrtsmuseum

Das Deutsche Schifffahrtsmuseum möchte in seiner Umstrukturierung barrierefrei sein und macht sich aktuell auf den Weg. Dazu öffnet es sich einem Austausch in alle Richtungen.

Nach ersten Testballons zu einzelnen Objekten (Hands on, Hörstationen, Taktile Gemälde, Sitzgelegenheiten, verschiedene Sprachen als Angebot ...) ist das Konzept zur Bremer Kogge nun ein erster größerer Baustein des Hauses auf diesem Weg.

Dr. Marlene von Bergen hat das Konzepte der Barrierefreiheit in der Ausstellung rund um die Bremer Kogge vorgestellt.

Ziel soll es sein, ein Schaufenster der maritimen Forschung und für verschiedene Bedürfnisse rezipierbar und vermittelbar zu sein.

Bei der Konzeption hat das Schifffahrtsmuseum zwischen baulichen Maßnahmen und inhaltlichen Ebenen unterschieden. Wichtig war, dass es in der Kogge Halle keine Sonderecke, sondern ein Gesamtangebot geben sollte.

Unterstützt wurde das Team vom Inklusionsbeirat der Stadt Bremerhaven. Eine Evaluation von Betroffenenverbänden ist ebenfalls erfolgt. Wichtig ist allen, dass Inklusion und Barrierefreiheit ein begleiteter Prozess ist, bei dem es immer wieder etwas zu lernen gibt.

In diesem Rahmen fand dann auch ein Workshop nachmittags statt, in dem es darum ging, die interaktiven und barrierefreien Angebote zu testen.

Aufgabenzettel

Wer sie nicht kennt, die Kogge Halle hat drei offene Ebenen, die sich mit dem archäologischen Thema der Kogge-Seefahrt beschäftigen. Es fängt mit dem Bau des Schiffes an und geht mit dem Leben an Bord und auf See weiter.

Die Halle ist groß und hell, im Mittelpunkt steht die mächtige Kogge selbst. Man kann sie von überall sehen, in sie hinein schauen, sie mit dem Fernglas „unter die Lupe“ nehmen und vieles mehr.

Ergänzende Erklärungen, multisensorische Stationen, Filme und ein Multimedia Guide stehen zur Verfügung.

Wegeleitsysteme, Reliefs, klare Symbole und Farbgestaltung (alles, was blau gemalt ist, kann z.B. angefasst werden) bieten Orientierung.

Alles gut? Nicht ganz. Es gibt hier und da Nachbesserungen (z. B. kann ein Rollstuhlfahrer alles auf den Tischen erkennen?) und es können noch weitere Schritte gegangen werden (z.B. weitere Querverweise zwischen Interaktion und Information).

Aber das ist ja auch das Spannende und Schöne, es geht weiter und man lernt voneinander. Inklusion und Barrierefreiheit ist eben ein sich immer mehr erweiternder Prozess. 

Ausstellungen in den anderen Häusern

Das Klimahaus bietet entdecken, erleben, begreifen - eine Reise mit allen Sinnen um die Welt.  Nadja Tietjen erläuterte das Konzept ihres Hauses, in dem es eine Weltreise für alle gibt.
Das Klimahaus bietet multisensorische und interaktive Zugänge in allen Bereichen. Denn Ziel ist es, mittels Begegnung und emotionalen Zugang für das Klima zu sensibilisieren (Ganzheitlicher Ansatz).
Dieser Ansatz des Klimahauses passt natürlich sehr gut zu Thema Inklsuion. Und es ist nach eigenen Angaben des Hauses so, dass 90%der Ausstellung für Menschen mit eingeschränkter Mobilität zugänglich ist.

Und was können wir verbessern - fragt Nadja Tietjen? Auch das Klimahaus stellt fest, dass Barrierefreiheit ein Prozess bleibt. Gerne möchte das Haus z.B. an der Beleuchtung und dem Thema Leichte Sprache weiter arbeiten.

Im Deutsches Auswandererhaus sollen die Besucher Migrationsgeschichte hautnah miterleben.
Antje Buchholz stellte das Vermittlungskonzept ihres Hauses vor. Auch hier sollen Emotionen (Migration) vermitteln. Szenografie, die Ausstellung als holistische, ganzheitliche Bühne, wird eingesetzt, um z.B. Räume erfahrbar zu machen.
Barrierefreiheit und Inklusion wird in dem Auswandererhaus nach dem Zwei-Sinne-Prinzip angestrebt.
Auch dieses Haus befindet sich auf dem Weg.

Fazit

Zusammenfassend heben die Häuser den Prozess hervor. Für alle ist dabei vor allem die Haltung wichtig. Es kann hilfreich sein, zunächst Standards aufzugreifen. Dennoch ist es wichtig, darüber hinaus zu gehen. Es kann z.B. frustrierend  werden, wenn technische Möglichkeiten vorhanden, aber nicht zugänglich sind, weil sich das Personal nicht auskennt.

Mein persönliches Fazit für den Tag lautet, es ist toll, Menschen auf ihren Wegen zur Inklusion und Barrierefreiheit zu begegnen. Wir alle können voneinander lernen. Das macht es so spannend und öffnet Horizonte, auch im Sinne meiner Arbeit in der Vermittlung.

Schön war es, dann gleich mit den Kolleginnen im Zug zurück zu reisen. Wir hatten uns einiges zu erzählen.